THE LOLITA COMPLEX

DAS PROBLEM DES NYMPHCHENS SIND DIE MÄNNER // THE NYMPHET’S PROBLEM ARE MEN

TW: Sexuelle Belästigung, Missbrauch, Grooming…




TW: sexual harassment, sexual abuse, grooming…
Ich war etwa in Lolitas Alter, als mir das erste Mal auf der Straße nachgepfiffen wurde.  Es war ein seltsames Gefühl; eine Mischung aus Ekel und Stolz darüber, bemerkt worden zu sein… Wie oft ich mit Freundinnen unterwegs war und von wesentlich älteren Männern begafft, angesprochen und/oder belästigt wurde, kann ich gar nicht sagen. Immer wieder fühlt es sich so an wie damals mit zwölf, auch wenn das Ekelgefühl mit den Jahren immer mehr die Oberhand gewinnt. Dennoch spielt die Aufmerksamkeit von Männern für Mädchen und Frauen gesellschaftlich eine große Rolle in ihrer Selbstwahrnehmung, da kann ich mich leider nicht ausnehmen. Warum denken Kerle, sie können Kindern anzügliche Komplimente machen, ihre Körper sexualisieren und anstarren, nur weil es sich um junge, weiblich gelesene Menschen handelt?
Um dieser Frage nachzugehen, aber auch wegen des TikTok-Hypes, kam es mir grade gelegen, dass wir Anfang des Jahres Meine Dunkle Vanessa von Kate Elizabeth Russell im Buchclub besprochen haben. Davon inspiriert, habe ich mich (leider) auch dazu hinreißen lassen Lolita von Vladimir Nabokov zu lesen und jede Seite bereut – was tut mensch nicht alles um dann einen Blogpost darüber zu schreiben. Jetzt aber genug gejammert, lasst uns ein bisschen mehr auf die oben genannten Bücher eingehen und eine Art Werkvergleich starten. Denn My Dark Vanessa bezieht sich Story-mäßig und intertextuell nicht nur sehr auf Lolita, sondern wird allgemein als eine „feministische Reinterpretation“ von Nabokovs Klassiker gehandelt.




I was around Lolita’s age when I was first catcalled walking down the street. It was a strange feeling;  a mix of disgust and pride about having been noticed… The list of memories involving me and my friends being stared at, approached and/or harassed by way older men is practically endless. Time and time again it kinda feels the same as it did back when I was twelve, even though the feeling of disgust mainly prevails nowadays. Sadly, the attention given by men still has a huge impact on girls and women in our society, and I can’t exclude myself from this. Why do dudes think they can comment on children’s bodies in gross, inappropriate ways, sexualise them and stare at them, just because they are presenting as female?
When attempting to find an answer to this question, and also to jump on the TikTok-hype-train, I was glad we decided to discuss My Dark Vanessa by Kate Elizabeth Russell in my bookclub earlier this year. Inspired by this, I (sadly) had the idea of reading Lolita by Vladimir Nabokov to compare the two and regretted every page – what you don’t do for a blogpost, I guess. That’s enough with the whining, let’s get to business and talk a bit more about the books mentioned above, try somewhat of a comparison. Because My Dark Vanessa doesn’t just show similarities and intertextual references to Lolita, but is also kinda sold as a „feminist retelling“ of Nabokov’s classic.
Um es nochmal kurz zusammenzufassen: In beiden Büchern geht es um eine Beziehung zwischen einem mittelalten Mann und einem jungen Mädchen und darum, dass eine Seite dieser Beziehung diese im Nachhinein versucht zu verstehen, zu rechtfertigen und/oder das Trauma zu verarbeiten. Vladimir Nabokovs Lolita von 1955 ist aus der Sicht des vierzigjährigen Humbert Humbert geschrieben, der besessen von der zwölfjährigen Dolores (die er Lolita nennt) ist. Kate Elizabeth Russel dreht dies in ihrem 2020 veröffentlichten Buch Meine Dunkle Vanessa um, das mit Hilfe von Zeitsprüngen erzählt, wie die fünfzehnjährige Vanessa von ihrem Lehrer Jacob Strane verführt wird und wie sie Jahre später auf die Beziehung zurückblickt, nachdem eine andere Schülerin Strane der sexuellen Belästigung beschuldigt.




To summarise/recap real quick: both books are about relationships between a middle aged man and a young girl, and one of the parties involved trying to tell their story in retrospect, understand it, defend it and/or work through the trauma caused by it. Vladimir Nabokov’s Lolita was first published in 1955 and is written from forty-year-old Humbert Humbert’s perspective, who is obsessed with twelve-year-old Dolores (whom he calls Lolita). Kate Elizabeth Russell turns the story on its head in her 2020 novel My Dark Vanessa, in which two different timelines tell the story of fifteen-year-old Vanessa and her forty-something-year-old teacher Jacob Strane, who grooms her into a relationship and how Vanessa looks back on the latter years later, when another former student comes forward, accusing Strane of sexual harassment. 
Lolita ist nicht nur aus heutiger Sicht ein höchst problematisches Buch, sondern wurde auch schon in den 50ern scharf kritisiert und flächendeckend verboten. Trotzdem scheint irgendwann etwas passiert zu sein, denn die Ausgabe aus den 80ern die ich von meinem Papa geliehen habe, beschreibt das Buch als eines der „wenigen großen Liebesromane der modernen Weltliteratur“ (wie bitte?!). Es gibt außerdem eine große popkulturelle Faszination mit dem Buch, die zum Beispiel zu einem eigenen Manga/Anime-Genre, Lolicon, also der „eindeutig sexuellen Darstellung fiktiver minderjähriger Mädchen,“ geführt hat. Auch in die Psychoanalyse hat es Lolita geschafft – mit dem Lolitakomplex, auch als Nymphophilie bekannt, wird eine Form des sexuellen Interesse von Männern an wesentlich jüngeren Mädchen/Frauen beschrieben, die sich laut Wikipedia von der Pädophilie unterscheidet, da besagte weiblich gelesene Kinder meist schon „Zeichen der Geschlechtsreife aufweisen.“ Ich werde das Gefühl nicht los, dass das Buch, entgegen Nabokovs Absichten, in der heutigen Zeit dazu dient, Beziehungen mit schwindelerregend hohen Altersunterschieden, Grooming und die frühzeitige Sexualisierung von Mädchen zu normalisieren. Dabei ist das Buch wirklich einfach nur widerlich – Humbert schiebt nicht nur alle Schuld auf Dolores Schönheit und blühende Geschlechtsreife, sondern heiratet Dolores Mutter um dem Kind nah zu sein und als die Mutter überraschend (oder vielleicht auch nicht?) stirbt, entführt er Dolores und beginnt einen USA-Roadtrip mit ihr, auf dem er sie missbraucht, abkapselt und ihr lange nicht mal vom Tod der Mutter erzählt. Auch wenn es jetzt schon etwas her ist, habe ich immer noch ein Schleudertrauma von der Grausamkeit, Ekelhaftigkeit und Problematik dieses schrecklichen Charakters. Und wenn Leute mir sagen, dass sie das Buch wegen des großartigen Schreibstils lieben, dann kann ich nur sagen, dass mir davon wirklich GAR NICHTS hängen geblieben ist und ich Nabokovs Schreibtalent für mich nicht dazu führen konnte, die schrecklichen Handlungen seines Protagonisten zu romantisieren. Nein, danke. 




Not just from today’s perspective does Lolita prove to be a highly problematic book. Even back in the 50s when it was first published, it caused an outrage and was banned in many places. It still feels like at some point this kinda shifted, since the edition I got from my dad’s bookshelf, which was first published in the 80s, describes the book as „one of the biggest love stories of modern literature“ (excuse me, WHAT?!). There also seems to be a huge pop cultural fascination with this book, which for example lead to its own manga/anime-genre called Lolicon, in short the „specifically sexualised depiction of fictional underaged girls.“ Lolita also made it into psycho analysis – the Lolita complex, also known as nymphophilia, describes a form of sexual interest in significantly younger girls/women shown by older men. Wikipedia says that what distinguishes this from pedophilia is that the female presenting children in question already show „some degree of sexual maturity.“ I just can’t shake the feeling that this book is nowadays used to legitimise and normalise relationships with huge age gaps, grooming, and early sexualisation of girls. And all this happens, despite the fact that the book is truly disgusting – Humbert not only blames Dolores’s beauty and her blossoming puberty for the lust he feels towards her, but also marries her mother just to be close to her, and when the mother coincidentally dies (maybe not such a coincidence after all?), he kidnaps Dolores and goes on a cross-country road trip with her, raping her, alienating her, and keeping her in the dark about her mother’s passing for a long time. Even though it’s been a while since I finished this book, I still have whiplash from the cruelty, nastiness, and disgusting, problematic behaviour of this awful character. When people tell me, they love the book because of Nabokov’s amazing writing style – I’m sorry, but that was completely lost on me, I was too preoccupied with the horrid actions of this fictional man and I felt incapable to romanticise the book. No, thank you.
Meine Dunkle Vanessa ist wesentlich angemessener für die heutige Zeit und hat mir trotz der schweren Thematik Lesefreude bereitet. Kate Elizabeth Russell setzt die Geschichte in den Kontext der #MeToo-Bewegung und zeigt die nachhaltigen Auswirkungen der problematischen Beziehung zwischen Vanessa und ihrem Lehrer, auf Vanessas Psyche, ihre gegenwärtigen Beziehungen und ihren Alltag. In der zweiten Timeline, wird beschrieben wie die fünfzehnjährige Vanessa von ihrem Englischlehrer Jacob Strane manipuliert und über Monate verführt wird, bis sie selbst der Überzeugung ist in ihn verliebt zu sein und die beiden eine langjährige Beziehung eingehen. Während bei Lolita vieles bezüglich der sexuellen Handlungen zwischen Humbert Humbert und Dolores der Interpretation der Leser*innen überlassen bleibt, sie nur im Nachhinein erwähnt oder schleierhaft umschrieben werden, gibt es bei Meine Dunkle Vanessa explizite Szenen, die beim Lesen mehr als nur ein mulmiges Gefühl auslösen. Durch die gegenwärtigen und rückblickenden Beschreibungen von Vanessas Gefühlen, werden die Folgen ihrer vermeintlichen Liebesbeziehung zu Strane für Leser*innen sehr deutlich. Es wird klar, dass Mädchen und junge Frauen wie Vanessa gesellschaftlich dazu erzogen werden, Grooming, Sexualisierung und Manipulation als etwas Normales, Positives zu interpretieren und im schlimmsten Falle darauf einzugehen. Während Vanessa krampfhaft versucht an ihrer jugendlichen Überzeugung festzuhalten, dass Strane ihre große Liebe war, wird immer offensichtlicher, dass diese Ansicht nicht nachhaltig aufrechtzuerhalten ist. Während immer mehr Frauen von ihrer alten Schule Strane der sexuellen Belästigung beschuldigen und Strane sich schlussendlich das Leben nimmt, wird Vanessa langsam bewusst, dass sie sich von ihm lossagen muss und ihr Trauma nicht länger von sich schieben kann. Lolita spielt eine große Rolle in Meine Dunkle Vanessa, denn Strane benutzt es um Vanessas Interesse zu wecken und sie selbst vergleicht die beiden daraufhin immer wieder mit Humbert und Dolores.




My Dark Vanessa is probably the more timely choice for people my age and I have to admit, despite the heaviness of the story, I did get some enjoyment out of reading this book. Kate Elizabeth Russell puts her story in the context of the #MeToo movement and includes the aftermath and impact of the problematic relationship on Vanessa’s mental health, her present relationships, and her every day life. In the second timeline, readers learn how the fifteen-year-old Vanessa gets to meet her English teacher Jacob Strane, how he grooms and manipulates her over the cause of several months, until she is convinced to be in love and the two of them enter into a longterm relationship. While Lolita kinda skips or glosses over the specific sexual activities between Humbert Humbert and Dolores, leaving it mainly to the readers imagination, My Dark Vanessa includes very explicit sex scenes that leave you with more than just a little feeling of unease. Using the present-day timeline of adult Vanessa looking back, the damage caused by her alleged relationship with Strane become clear to readers. The story goes to show that young girls and women like Vanessa are conditioned by society to believe that grooming, sexualisation and manipulation are normal and can be interpreted as something good, in the worst case even be rewarded with reciprocation. While Vanessa is trying hard to hold on to her teenage conviction that Strane was her one true love, it becomes clear that she can’t keep up this mindset much longer. More and more women from her former school come forward, accusing Strane of sexual harassment and Strane ends up taking his own life. Vanessa slowly comes to realise that she has to let him go and has to work through her trauma. Lolita plays a huge part in My Dark Vanessa, since Strane uses it to spark Vanessa’s interest and she ends up comparing the two of them to Humbert and Dolores on more than one occasion.
Es ist schwer zu sagen, welches der Bücher „besser“ ist, denn natürlich ist Vladimir Nabokovs Lolita ein globaler Klassiker, der einen nachhaltigen Eindruck in unserer Gesellschaft hinterlassen hat (ob der jetzt gut ist oder schlecht sei dahingestellt), sonst hätte Kate Elizabeth Russell wahrscheinlich gar nicht zur Feder gegriffen um Meine Dunkle Vanessa zu schreiben. In beiden Werken geht es um die wohl schlimmste, unangenehmste Form des Male Gaze, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven. Grade weil beide Bücher zeigen, wie normalisiert die Sexualisierung junger Mädchen und Frauen durch Männer ist, sind sie schockierend zu lesen. Ich glaube zwar, dass Meine Dunkle Vanessa für meine Generation und das heutige Zeitalter die bessere Lektüre ist um sich mit diesen schweren Thematiken auseinanderzusetzen, aber das schlussendliche Urteil sei jeder*m selbst überlassen.
Am Ende bleibt nur die Hoffnung, dass Lesende (vor allem Männer), Bücher wie Lolita und Meine Dunkle Vanessa nicht als Legitimation ihres von der patriarchalen Gesellschaft reproduzierten Verhaltens sehen, oder als Bestätigung dafür, dass „Frühreife“ oder vermeintliche „Seelenverwandtschaft“ in ähnlichen Situationen Gewicht hätten. Stattdessen hoffe ich, dass sie die Bücher als augenöffnendes Momentum verstehen, ihren Blick auf weiblich gelesene Menschen (egal welchen Alters, aber vor allem Kinder und Jugendliche) zu ändern. Bitte, bitte, bitte.
//K.




It’s hard to say which of the books is objectively „better,“ because obviously Vladimir Nabokov’s Lolita is a global classic and clearly left a huge impact on society (lets put the nature of which aside), otherwise Kate Elizabeth Russell probably wouldn’t have picked up the pen to write My Dark Vanessa. Both works show us the most horrid version of the infamous Male Gaze, but use opposing perspectives. Specifically because they show how normalised the sexualisation of young girls and women through men is, they are shocking to read. Although I personally think My Dark Vanessa is a more suited read for people of my generation and today’s society, who want to dive into these heavy topics, every reader has to judge the books for themselves.
All that remains in the end is that readers (especially men), don’t see books like Lolita and My Dark Vanessa as a form of legitimation of their patriarchal, problematic learned behaviours, or as proof that „early maturity“ or supposed „soul mates“ are valid excuses in similar real life situations. Instead, I hope these books will open their eyes and cause a momentum that makes them change the way they view/look at female presenting people (no matter their age, but especially kids and teens). Please, I beg you.
//K. 

Fotos // Photos: ©Kaja vdB
QUELLEN// SOURCES:
https://de.wikipedia.org/wiki/Lolitakomplex
https://www.deutschlandfunkkultur.de/verteidigung-einer-obsession-der-lolita-komplex-100.html
https://en.wikipedia.org/wiki/Lolicon
https://en.wikipedia.org/wiki/Kate_Elizabeth_Russell
https://en.wikipedia.org/wiki/Lolita

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